Langsam gewöhne ich mich an die Kaltstarts. Wobei es heute noch extremer war. Da das Velo mitsamt dem Monoporter ja in meinem Zimmer schliefen. Also direkt weg vom Bett in den Pass. Gemäss den Höhenprofilen die ich bei mir hatte, erwartete ich in etwa die gleiche Steigung wie gestern, nur etwas länger. Anfänglich war das auch so. Doch ab etwa Kilometer fünf, also noch fast ganz unten, setzte ein Gegenwind ein. Ich hoffte es sei die Thermik, die dann mit der Zeit von einem Fallwind in einen steigenden Wind und damit grösstenteils auch in einen Rückenwind, wechsle. Weit gefehlt: der Fallwind wurde immer stärker. Selbst auf flachen, vielleicht sogar leicht abfallenden Strassenabschnitten war Kurbeln in kleinsten Gängen angesagt. Kein Wunder, dass der pampige Gipfel, das bisschen Zwieback und die Aprikosen-Schnitte in kürzester verbrannt waren. Ich schaffte es gerade noch nach Bourg Saint Rhemy, der letzten Verpflegungsmöglichkeit bis zu Passhöhe.
Es war im Hotel Suisse, wo ich meine Kräfte wieder neu auftanken konnte. Wobei ich hier vermutlich ein Insider-Restaurant der besseren Klasse erwischt habe. Mitten im Dorfteil (an der alten Passstrasse), ein Rustico, von aussen vielleicht nichts Besonders, aber Innen: einsame Klasse. Der Speisesaal, eine Art von Saal mit Galerie, auf der einen Seite all die alten Steine des Rusticos noch sichtbar, im inneren Teil, alles neu gemacht, aber stilistisch genau passend zu einem Rustico. Auch das Essen: nicht zu viel, auch als Tagesmenu zubereitet, nicht einfach nur durch die Mikrowelle geschoben. Rasche und sehr freundliche Bedienung. Sehr schade, dass ich ein so feines Essen, nur gerade als Stärkung fĂĽr den weiteren Weg nach oben “missbrauchte”.
Übrigens der Weg nach oben war sehr abwechslungsreich. Die Strassenführung im unteren Teil für den Radfahrer vielleicht etwas langweilig, weil oftmals lange und gerade Stücke bewältigt werden müssen. Dafür aber hat man die Gelegenheit, immer wieder in andere Täler hineinzuschauen, bis sich dann nach der Abzweigung auf die Tunnelstrecke, die alte Passstrasse auf ein bestimmtes Tal fixiert.
Bereits in diesem Moment, machen einem grosse Tafeln darauf aufmerksam, dass die Strasse nicht mehr unterhalten wird, und stellenweise abgerutscht ist. So schlimm ist es dann allerdings doch nicht, denn etwa bei 2000 Metern über Meer, wird kräftig an der Passstrasse herumgewerkelt. Über die neuen Betonstützmauern werden kunstvoll Wände aus Bruchstein hochgezogen. Auch die Pfosten der Galerie sind mit Bruchsteinen verklebt. Vielleicht versucht man hier doch, den Charakter der alten Passstrasse stielgerecht in Schwung zu halten.
Mehrere Lichtsignalanlagen regeln den Verkehr. Wobei man als bergwärtsfahrenden Velofahrer keine Chance hat, in einer GrĂĽnphase durchzukommen. Zu lange sind die Strecken. Hingegen die Offroader dĂĽrfen hier mal ĂĽber Schotterpiste fahren und zeigen was sie können, oder vielleicht auch was noch fehlt zum Können. (die andern natĂĽrlich auch!) Jedenfalls mussten die Bauarbeiter einen mit einem “HH-Nummernschild” wieder befreien. Auch als Mountainbiker kam ich natĂĽrlich in den Genuss mehrere hundert Meter aufgerissener und geschotterter Passstrasse.
Wie dem Profil zu entnehmen ist, zeigt die Passstrasse doch überraschend viel Stellen mit einem Gefälle von über 10%. Zusammen mit dem Gegenwind zehrt das natürlich ziemlich an den Kräften.
Kam dann aber doch oben an, nicht ohne noch eine Foto in der letzten Galerie vor der Passhöhe zu machen. Die gleicht nämlich einer Vogelkolonnie. Ăśberall, auf Kabelkanälen, Lampenkörpern und andern Winkeln und “Ablageflächen” nisten sich die Bergdohlen ein und ziehen ihre Jungen gross.
Auf der Passhöhe, der mittlerweile schon bekannte, zügige und sehr kalte Wind. Ich bleibe nicht lange, schiesse die Passphoto und schaue mir kurz den kommerziellen Teil um die Bernhardiner an. (Fotos folgen)
Die Abfahrt ins Wallis, ist optisch und erlebnismässig deutlich weniger wertvoll als der Aufstieg von Aosta her. Die Strasse ist zwar in sehr gutem Zustand, trifft sich aber schon bald mit der Strasse aus dem Tunnel. Ab dann geht es zuerst kilometerlang durch Galerien und weitere Tunnels, Höhenmeter werden zu hunderten in kürzester Zeit vernichtet. Kommt heute noch der Kampf mit dem Gegenwind dazu, so bleibt kaum noch Zeit für einen Blick neben die Strasse.
Ich kämpfe mich dann nach Martigny doch noch bis St. Maurice gegen den Walliser Wind. In der Hoffnung, dass ich morgen dann den Sprung aus dem Wallis noch ohne Gegenwind schaffe.
2003 HM | |||
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