Am Morgen, es geht gerade ein leichter Nieselregen über der Gegend nieder, besteigen wir wieder einmal die Niederflurwagen der Usedomer Bäder Bahn. Sie bringt uns heute in den südöstlichen Teil der Insel, zu den Kaiserbädern. Wir verlassen den Zug in Bansin und wandern anschliessend über Heringsdorf nach Ahlbeck. Jede der drei Ortschaften hat ihre ganz eigene Entstehungsgeschichte, dennoch haben sie alle gemeinsam, dass sie jeweils eine Seebrücke aufweisen, alle in den Zirkel der Kaiserbäder gehören und alle miteinander mit einem langen Promenadenweg miteinander verbunden sind.
Auf dem Weg von Zinnowitz nach Bansin fährt der Zug an manchem schmucken Häuschen vorbei. An der schmalsten Stelle der Insel ist kurz nacheinander sowohl die Ostsee wie auch das Achterwasser (Wasserfläche zwischen der Insel und dem deutschen Festland) sichtbar. Auffällig ist, dass vielerorts gebaut oder wenigstens restauriert wird. Sie dies an Häusern oder Anlagen der Bahn.
Der Fussweg in Bansin vom Bahnhof zur Strandpromenade führt uns auch am Haus mit dem Gedenkatelier an Rolf Werner vorbei, einem in der ex DDR offenbar berühmten Maler. Er hat seine Werke mit Öl gepinselt und wie mir scheint vor allem im Bereich der Naivmalerei. In seinem Atelier können mehr als 1000 Werke des Künstlers besichtigt werden.
Bansin: Nach der Christianisierung gehörten Land und Siedlung zum Kloster Padagla und nach der Reformation ging der Besitz in die Hände der Familie Labahn über. Es war ein winziges Dorf mit nur gerade zwei Dutzend Bauernhäuser, für deren Bewohner der Strand kaum von Bedeutung war. So verkauften sie denn auch den landwirtschaftlich unergiebigen Streifen Land an die Delbrück AG, die bereits Ahlbeck und Heringsdorf erschlossen hatte. Als die Bauern allerdings sahen, wie die Ahlbecker und Heringsdorfer am aufblühenden Bädertourismus verdienten, gründeten sie 1896 eine Badegenossenschaft und kauften ihr Land zu überhöhten Preisen wieder zurück. 1901 erhielt die neue Siedlung am Meer bereits die Anerkennung als Seebad und 1923 war Bansin das erste Bad mit Freibadeerlaubnis. Die kostspielig zu unterhaltenden Badehäuser konnten dann demontiert werden und man konnte sich fortan im Badeanzug auf dem Strand tummeln. In Anlehnung und als Steigerung zu Ahlbeck (Volksbad) und Heringsdorf (Luxusbad) nannte sich Bansin das “Adelsbad”.
Heringsdorf: Das Seebad Heringsdorf wurde von Georg Bernhard von Bülow um 1817 gegründet. Ein winziges Dorf namens Neukrug wurde an der selben Stelle seit dem 14. Jahrhundert nachgewiesen. Bülow siedelte zunächst Fischerfamilien auf dem Küstenstreifen an, weniger aus Nächstenliebe, sondern weil es zu dieser Zeit eine staatliche Förderung zur Strandfischerei und dem Einsalzen von Heringen gab. Als König Friedrich Wilhelm III. mit zweien seiner Söhne – Friedrich Wilhelm, später der IV. und Wilhelm, später Kaiser Wilhelm I. – 1820 das Salzhüttendorf besuchte, wurde der junge Kronprinz gefragt, welchen Namen er der neuen Siedlung geben wolle. Angesicht der Fischfässer fiel ihm nicht Besseres ein als “Heringsdorf”. Bülow liess 1824 die Bülowsche Badeanstalt einrichten und sich selbst ein Jahr später in den Hügeln oberhalb des Strandes eine Villa bauen. Bülow legte Wert darauf, dass nur Gäste der Hautevolée in seinem Heringsdorf die Sommerfrische genossen. So war auch die königliche und später kaiserliche Familie aus Berlin häufig Gast in dem rasch aufstrebenden Badeort. Ihnen folgten Offiziersfamilien aus dem Kleinadel, höhere Beamte und schliesslich Künstler, die allesamt dem Ort ein Flair von Noblesse verliehen. Was lag näher, als sich Kaiserbad zu nennen? Dennoch wurde Heringsdorf kein Ziel des Massentourismus. Der Ort blieb lange Zeit ein Luxuskurbad, in dem sich Hoch- und Geldadel sowie alle, die in Preussen etwas auf sich hielten und natürlich über die entsprechenden Finanzen verfügten, eine Villa bauen liessen. Es gab 1907 eine Pferderennbahn, ein Spielcasino und eines der grüssten Luxushotels an der gesamten Ostseeküste, das Kaiserhof Atlantico.
Ahlbeck: Um 1700 wurde an der Beek, einem Flüsschen das heute unterirdisch Ahlbeck durchfliesst, eine Wassermühle gebaut. Ein paar Bädner siedelten sich dort an und gründeten eine Art Dorf, das Ahlbeck getauft wurde, weil es in der Beek viele Aale gegeben haben soll. Mitte des 19. Jahrhunderts entschlossen sich auch die Ahlbecker am florierenden Tourismus teilzuhaben. In der Anfangszeit musste noch in einem Badezelt ins Wasser eingetaucht werden. 1874 entstand die erste Unterkunft. Doch erst ab 1882 entstanden parallel zur Promenade die ersten Pensionen und Hotels, in der Regel mit Angeboten in der günstigeren Preisklasse. Im Gegensatz zu Heringsdorf wollten die Ahlbecker vor allem die breite Mittelschicht anlocken.
Mein eigener, ganz persönlicher Eindruck aus dem Spaziergang auf der Uferpromenade der Kaiserbäder: Mit Beginn der Nazizeit wurden die meisten der Häuser “zweckentfremdet”, beziehungsweise jedermann zugänglich gemacht. Eine der Konsequenzen davon war, dass wahrscheinlich kein einziger Bau fachgerecht unterhalten wurde. Vieles begann zu zerfallen. Einzelne Bauten wurden in der bekannten Plattenbauweise erst neu erstellt. Beim heutigen Spaziergang haben wir sehr viele, sehr schöne und prunkvolle Hotels und Villen gesehen. Manchmal fast unvorstellbar, dass in so kurzer Zeit seit der Wiedervereinigung soviel und so gut renoviert und Instand gestellt wurde. Selbst die Plattenbauten wurden “verziert” mit Giebeln und Schnörkeln. Man würde der Geschichte nicht glauben, ständen dazwischen nicht einzelne Häuser, bei denen die Besitzesverhältnisse noch nicht geklärt sind und an denen deshalb auch noch nichts renoviert wurde. Unübersehbar auch die “zweite und dritte Reihe” hinter der prachtvollen Front. Das übliche triste Bild von undichten Dächern, zerbrochenen Fensterscheiben, überwucherten und ungepflegten Gartenanlagen. Das, was man von der Uferpromenade her sieht, bis eben auf einzelne Ausnahmen, könnte ebensogut vielleicht in England oder einem anderen Land mit Bäderkultur stehen, ohne natürlich die ungeregelten Besitzesverhältnisse. Die Uferpromenade während manchen Kilometern ist Naherholungsgebiet vom Feinsten. Es ist wie oben beschrieben tatsächlich so, dass Bansin und Ahlbeck vielleicht eher das etwas günstigere Angebot haben, während in Heringsdorf, selbst das Flanieren auf der Promenade eher ein sehen und gesehen werden darstellt, vor allem im Sommer, wenn dann die Touristen die Promenade vollends in Besitz nehmen.