Da sitze ich im Zug, bin gerade daran in den weichen Polstern des “Maria-Theresia” aus Wien, meine mĂĽden Beine vom heutigen Tag in die richtige Ruhestellung zu bringen und die Hände vom kalten Bier in der Bahnhofhalle mit Remo (einem meiner aktiven Blogkommentierer) wieder aufzuwärmen, da fällt mein Blick auf eine aufgeschlagene Zeitschrift. Ăśber dem Text ein halb zerfallenes Haus, mit ein paar Jungs davor.
Neugierig wie ich bin, beginne ich darin zu lesen.
In Amerika scheint es grosse Mode zu sein, verlassene Häuser aufzusuchen und zu durchforschen. Es soll sich dabei nicht um Einbruch oder Diebstahl handeln, denn die Häuser wurden meist vor langer Zeit von deren Besitzern verlassen. Es soll davon ĂĽbrigens jede Menge geben. Das Interessante dabei ist, Spuren der ursprĂĽnglichen Bewohner zu finden. Wie haben die gewohnt, was gearbeitet, was gegessen, vielleicht auch warum sie das Haus verlassen haben usw. NatĂĽrlich gehört auch ein bisschen Nervenkitzel dazu: vielleicht findet man ja etwas, was noch keiner gesehen hat, DEN grossen Schatz, vielleicht haben sie eine Mitteilung hinterlassen, vielleicht …
Die Leute die so in verlassenen Häusern herumsuchen, heissen übrigens Creepers (wenn ich das richtig behalten habe). Die Bezeichnung tönt ja schon irgendwie etwas zickig, quitschig, vielleicht erschreckend.
Da wird dann beschrieben, wie sich ein paar Jungs zusammentun, einen Neuling erwarten, ihn auf die Probe stellen von wegen Mut und so, wie sie langsam losziehen: sie verlassen die knarrende, muffelige Polstergruppe und den ächzenden Tisch. Durch die Türe säuselt ein Lüftchen, weil die Fenster fast alle eingebrochen sind und von der Decke tropft hie und da Wasser in eine grosse Wasserlache, draussen im Gang. Die Scheinwerfer eines vorbeifahrenden Autos zeichnen ein gespensterhaftes, bewegliches Bild an die Wand. Da! im Keller! Man öffnet die Tür, eine alte Holztreppe kommt zum Vorschein. Das Bier von vorhin zeigt langsam seine Wirkung. Meine Gedanken schweifen ab, die Augen überspringen ein paar Zeilen im Text, das Hirn entwickelt seine eigene Phantasie.
Die Treppe ist endlos lang. Es riecht muffig, zieht kalt von unten herauf. Im Keller wird es immer dunkler, ein Tritt fehlt vollständig. Durch das eingebrochene Kellerfenster hört man einen Passanten vorbeieilen. Ein Auto nähert sich. Die Scheinwerfer zĂĽnden einen Moment in den Keller. Dort! Dort hinten hat doch etwas gefunkelt! Sachte gehe ich den letzten Tritt der Treppe hinunter. Papier raschelt auf dem Boden. Mein Fuss stösst an etwas schweres, Mann ist das dunkel hier. Nur noch ein oder zwei Schritte. Ich strecke die Hand aus, noch weiter …..
TĂĽĂĽĂĽtaaa, TĂĽĂĽĂĽtaaa heult es zum Fenster hinein; ein Polizeiauto! …. nein noch viel näher; …. wo bin ich ĂĽberhaupt …. ja, hallo ….
Ich weiss nicht wie lange es gedauert hat, bis ich davon überzeugt war, immer noch in einem Schnellzug nach Hause zu sitzen. Dass die Sirene wohl dem Telefonierer vor mir gehört (glücklicherweise wendet er mir den Rücken zu und wir haben in diesem Wagen Flugzeugbestuhlung). Ich muss einen Moment eingenickt sein.
Beruhigend die Stimme des ZugfĂĽhrers: “nächster Halt: Baden”. Ich habe also noch genĂĽgend Zeit mich vom Schreck zu erholen. In der Zeitschrift habe ich jedenfalls nicht mehr weitergelesen.