Da sitze ich am Morgen im Zug und blättere in der NZZ als der Zug in Baden hält. “Ist der Platz noch frei”, tönt es von weit oben herab. “Ja, klar”. Das hört der Mann aber schon nicht mehr, denn er sitzt bereits und hat seinen Stoss Zeitungen ausgebreitet.
Noch bevor der Zug abfährt, schon der Griff zum Handy, ein paar Tasten drücken und es läutet bereits irgendwo. Der Gesprächston ziemlich forsch, ob alles rund laufe, ob nichts anbrenne, er käme etwa fünf Minuten später. Dann noch irgend welches Gerede über den gestern entdeckten Skandal und dass das allerhand sei und noch Konsequenzen für den einen oder anderen haben werde.
Spätestens ab jetzt habe ich mitgehorcht. Der Herr muss ja wohl ein ganz wichtiger sein. Nur; seine Kleidung, ĂĽberhaupt sein ganzes äusseres passte ĂĽberhaupt nicht zu dem Gespräch. Er sah eher ĂĽbernächtigt aus, zerknittertes Hemd, kein Aktenkoffer, schien mir direkt aus dem Bett zu kommen. Aber heute ist ja Freitag und da trägt die Teppichetage manchmal merkwĂĽrdige Kleidung. “Casual day”, “Casual Friday” sagen die dem, aber so Extrem ist jetzt schon etwas merkwĂĽrdig. Der Zug saust gerade in Killwangen-Spreitenbach vorbei, das Gespräch scheint beendet zu sein. Der Herr sitzt in Fahrtrichtung zur Sonne. Seine Augen scheinen bei dem heutigen grellen Sonnenlicht zu schmerzen.
Der nächste Anruf: die Stimme diesmal eher passend zum Aussehen, lässig, nur der Kaugummi im Mund fehlt noch. Irgendwelches Gefasel ĂĽber Devisenkurse und den Dow Jones Index, nichts Konkretes, ausgedehnte langatmige … eeehhhhmmmmmsss … dazwischen, mehrmaliges Nachfragen “bisch no do?”, von der anderen Seite hört man kein Wort. Ich frage mich, ob der ĂĽberhaupt mit jemandem telefoniert oder doch nur Selbstgespräche fĂĽhrt. Blättert dazu langweilig in der gestrigen “heute…” – Zeitung. Ob er das wohl merkt? Altstetten ist vorbei. Der Zug rumpelt bereits ĂĽber die fast unzähligen Weichen des Vorbahnhofes von ZĂĽrich. Die dritte Nummer wird gewählt.
Diesmal die Stimme zuckersĂĽss: “Mäuschen, es ist Zeit zum Aufstehen”, noch ein bisschen hin- und her-Geschwafel und dann “jetzt aber use, hopp”.
Der Zug hält. Was ich von der NZZ heute mitbekommen habe? Beim Bilderrätsel der NZZ Domizil – Beilage war heute das ehemalige Kloster St. Urban im Kanton Luzern abgebildet.