Heute Morgen war es nun so weit. Die Wetterprognose liess nichts befürchten. Als einer der ersten Gäste im Hotel suchte ich mir mein Morgenessen am Buffet zusammen und fuhr wenig später mit dem Auto über die Bernina nach Tirano hinunter und ein Stück weit im Tal der Adda in Richtung Bormio das Tal hinauf. Bis etwa an den Fuss des Mortirolopasses.
Es war noch sehr kühl als ich den Renner auf die Strasse stellte. Leichtes Einfahren Bergab bis nach Mazzo brachte heute wegen der Kälte nicht viel. Bereits in Mazzo geht die Steigung schon recht bald ziemlich heftig los, und bleibt für die ersten zwei Drittel der Strecke fast immer über 10% Steigung. Die Passstrasse ist von allem Anfang an sehr schmal. Dies wird in Mazzo auch mit besonderen Markierungen kundgetan. Nur Autos, die dazwischen passieren können, haben anschliessend auch die Gewähr, ohne Kratzer oben anzukommen.
Auch an diesem Pass haben die Italiener die Spitzkehren nummeriert. Es beginnt mit der “Tornante 33”. Die Strasse verschwindet schon bald im Wald. Es ist die schattige Seite des Berges, es bleibt somit weiterhin kĂĽhl. Die Arbeit der Beine bringt mich aber dennoch ordentlich ins Schwitzen. Zwischen den Kurven 24 bis 20 scheint mir die Steigung am ärgsten zu sein. Ab und zu gewährt ein Loch im Wald einen Blick ins Tal hinunter.
Verkehr hat es heute Morgen tatsächlich keinen. Ein paar Waldarbeiter mit ihren Autos, das ist alles. Keine Motorräder, nicht einmal andere Velofahrer. Es ist so ruhig und einsam, dass für eine kurze Zeit sogar ein Fuchs vor mir her trab. Offensichtlich hatte er überhaupt keine Eile, im Unterholz wieder zu verschwinden. Fast zu oberst fahre ich nun doch plötzlich aus dem Wald heraus. Eine schon fast spektakuläre Aussicht präsentiert sich mir heute. Weiterhin keine Wolke, nur der blaue Himmel, ein paar farbige Birken, die Bergwelt und ich. So habe ich mir eine Herbstfahrt vorgestellt.
Auf der sĂĽdlichen Seite des Passes, ist das Wetter nicht mehr ganz so schön. Vom Tal herauf drängeln sich Nebelschwaden. Ăśber dem ganzen liegt ein ziemlicher Dunst. Doch glĂĽcklicherweise muss ich nicht so weit hinunter und biege unten im Tal angekommen links weg, in Richtung Ponte di Legno, Gaviapass und Tornalepass. Die Strasse fĂĽhrt an der Sonnenseite des Tales in die Höhe. Deshalb entledige ich mich schon bald der Thermokleider. Wie vermutet hat “Ponte di Legno” etwas mit einer HolzbrĂĽcke zu tun. Jedenfalls werden alle Ortstafeln mit einer riesigen, schönen HolzbrĂĽcke ĂĽberdacht. Die richtige HolzbrĂĽcke, das eigentliche Bauwerk, sehe ich aber nirgends. Dazu hatte ich mit der Umfahrungsstrasse möglicherweise auch den falschen Weg gewählt.
Die Abzweigung zum Gaviapass ist schnell erreicht. Der Anstieg beginnt ziemlich sachte. Die Strasse befindet sich jetzt auf der Sonnenseite des Tales. In der ersten Spitzkehre mache ich einen längeren Halt, mit Verpflegung aus dem Rucksack und “Profilstudium”.
Nach einer ersten Serie von Spitzkehren, meist durch Wald, wird die Strasse auf einer Art Hochebene plötzlich schmal. Ein oder zweimal steht eine 14%-Tafel am Strassenrand. Ich vermute allerdings, dass da noch mehr so steile Stücke drin waren. Glücklicherweise sind die alle aber nur sehr kurz.
Die Sicht auf die umliegenden Berge wird je länger desto trüber. Der Dunst scheint sich langsam in die Berge erheben zu wollen. Dazu gesellen sich nun auch noch ein paar währschafte Wolken. Die Strasse schlängelt sich den Berg hoch. Die Bergflanke scheint stellenweise fast senkrecht zu sein denn immer wieder sieht man fast senkrecht auf den Talboden hinunter. Bis zuletzt müssen das gegen 500 und mehr Höhenmeter sein.
Kurz vor der letzten Serie von Spitzkehren muss noch ein unbeleuchtetes Tunnel durchquert werden. Es soll 800 Meter lang sein, aber dafür schnurgerade. Bei der Einfahrt sieht man, oder vielleicht besser erahnt man ganz hinten und weit oben einen hellen Fleck, der spätere Tunnelausgang. Nach dem Tunnelausgang und weiteren Spitzkehren hat man nochmals einen schönen Blick durch das ganze Tal, bis vielleicht zurück nach Ponte di Legno. Unter den Spitzkehren liegen zwei Bergseelein. Eigentlich sollten sie wie zwei Perlen leuchten. Doch heute liegt da bereits ein feiner, leichter Dunst darüber. Wenig später erreiche ich die Passhöhe des Gavia.
Die Passhöhe ist eine langgezogene, holprige Ebene. Doch nach ein paar Spitzkehren wird die Strasse plötzlich besser. Kaum eine Flickstelle, nur die häufigen Spitzkehren, hindern an einer noch zügigeren Talfahrt. In Santa Caterina, bekannt vielleicht aus den Skimeisterschaften, ist noch eine letzte Stelle über Kopfsteinpflaster zu meistern. Doch dann gibt es kein Bremsen mehr bis nach Bormio. Was in den Alpen selten vorkommt: schönste Strasse, kaum Kurven, kaum Verkehr, kein Gegenwind, keine Gegensteigung, das Gefälle meist so, dass kaum gekurbelt werden muss und trotzdem mit sehr hohem Tempo runtergebraust werden kann.
Kurz nach Bormio ist fertig mit der Herrlichkeit: starker Gegenwind, trotz dem leichten Gefälle muss ich wieder ziemlich kräftig kurbeln. Zu allem Überfluss fallen jetzt auch noch erste Regentropfen. Wegen einer Baustelle und damit auch wegen einer Umleitung, geht es nochmals den Hügel hinauf. Für einmal hoffe ich auf den Gegenwind, nämlich dass er es schafft den Regen nach Bormio hinaufzudrängen. Auf dem höchsten Punkt der Umleitungsstrecke steht eine Galerie, vermutlich wegen Steinschlags. Ich rette mich vor dem immer heftig werdenden Regen und mittlerweile völlig ausser Atem, hinein. Nach mehreren hundert Metern geschützter Fahrt komme ich auf der anderen Seite wieder raus. Der Gegenwind ist zwar noch kräftiger geworden, aber dafür regnet es nicht mehr und die Strasse geht jetzt wieder ins Tal hinunter. Die letzten gut zehn Kilometer bis zum Auto fahre ich dann tatsächlich im Trockenen. Sogar der Gegenwind lässt mit der Zeit nach.
Glücklich und zufrieden, trotz der letzten Regentropfen, eine schöne Herbstrunde hingefahren zu haben und dabei erst noch einen neuen 2000er-Pass bewältigt zu haben, fahre ich mit dem Auto über die Bernina wieder zurück ins Hotel.
3260 HM | |||
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