Wir verlassen gegen zehn Uhr Zermatt mit der Matterhorn Gotthard Bahn. Dies allerdings nicht, bevor wir uns nochmals kurz in der Bahnhofstrasse von Zermatt umgesehen haben. Fast aus allen Schaufenstern prangte mindestens ein Bildchen des Matterhorns. Matterhorn auf Mützen, auf Tragtaschen, Matterhorn als Schokoladenberg, Matterhorn in Uhrengehäusen, an Eispickeln, Matterhorn einfach überall. Matterhorn im Winter, tief verschneit, mit und ohne Wolken-/Nebelkragen, Matterhorn in Gold oder wenigstens gelb glänzend, Matterhorn als kahle Felswand, Matterhorn als Spiegelung in einem See, der Phantasie sind keine Grenzen gesetzt. Alles andere ist hier logischerweise zweitrangig und steht in der zweiten Reihe.
Die Reise von Zermatt nach St. Moritz wird gut acht Stunden dauern. Mittagessen als Tellerservice im Panoramawagen während der Zugfahrt. Die Zugfahrt wird eine Länge von 291 KM aufweisen, uns über ebenfalls 291 Brücken und durch 91 Tunnels führen. Nach der Abfahrt in Zermatt auf 1604 MüM werden wir im Wallis, in Visp, bereits einen ersten tiefen Punkt (658 MüM) erreicht haben. Anschliessend geht es fast ununterbrochen bergauf auf den höchsten Punkt, den wir auf der Oberalp bei 2033 MüM erreichen. Nach der Oberalp fahren wir bis Chur hinunter, zum tiefsten Punkt auf 585 MüM. Dort wird auch die Lok auf die andere Seite des Zuges gehängt und wir fahren wieder hinauf nach St. Moritz auf 1775 MüM. Den Glacier Express als touristische Attraktion gibt es bereits seit dem 25. Juni 1930. In seiner heutigen Form verkehrt er seit 1993, täglich zwei Kompositionen von Zermatt nach St. Moritz und zwei weitere in umgekehrter Fahrtrichtung.
Soviel aus Werbeprospekten und Entstehungsgeschichte.
Wir verlassen also kurz vor zehn Uhr Zermatt. Werfen einen letzten Blick in die Richtung der 29 4000er-Bergspitzen, welche man von Zermatt und Umgebung eigentlich sehen sollte. Das Wetter verhindert allerdings das Nachzählen. Nach der regnerischen Nacht, gibt sich zwar die Sonne alle Mühe, doch die Nebelbänke an den Hängen sind noch zu dicht. Das Tal der Vispa, hinunter nach Visp ist eng und schmal, mehrmals hängt sich der Zug in die Zahnstangen um die beträchtlichen Höhenunterschiede überwinden zu können. Während der Fahrt werden wir über viele kleine Details zu Dörfern, dem Tal und dem Kanton informiert. Einige Erklärungen und Anekdoten fügt auch die Reiseleitung noch dazu.
Während der Fahrt durch das Wallis beginnt der Service im Wagen anzulaufen. Wässerchen, Bier und Wein kann bestellt werden, Souvenirprospekte werden verteilt, die Tische werden für das Mittagessen gedeckt, derweil wir wieder einiges über die grossen Arbeitgeber im Wallis (zum Beispiel Lonza) erfahren. Die eine oder andere Lawinenkatastrophe oder Bergrutsch wird angesprochen. Auch die Auswirkungen des Lötschberg-Basistunnels auf das Wallis werden diskutiert. Wir haben Brig passiert, sind die steile Rampe ins Goms und Obergoms hinaufgefahren, wir nähern uns Oberwald.
Kurz vor der Tunneleinfahrt unter der Furka hindurch wird das Mittagessen serviert. Scheint mir noch ein gutes Timing zu sein, während der Tunneldurchfahrt essen zu können. Nachtisch gibt es dann im Urserental, während der leichten Abfahrt hinunter nach Andermatt.
Zum Kaffee geht es die steile Rampe auf den Oberalppass hinauf. Wir geniessen mehrmals einen schönen Überblick über das ganze Urserental. Auf dem Oberalppass kreuzt uns der entgegenkommende Glacier Express von St. Moritz. Abfahrt hinunter nach Sedrun und Disentis.
In Disentis gibt es einen kurzen Aufenthalt, denn nun kann die Lokomotive gewechselt werden. Auf den Strecken der Rhätischen Bahn kann ohne Hilfe von Zahnstangen gefahren werden.
Das Wetter hat sich bis hierher recht gut gehalten. Wir hatten viel Sonnenschein, entlang der Bergketten klebten zwar die Wolken und Nebel, doch das hatte auf die Aussicht kaum eine Auswirkung. Seit der Oberalp hat sich der Himmel mehr und mehr verdĂĽstert, bald nach Disentis fallen erste Regentropfen.
Kurz nach Ilanz fährt der Zug weiterhin dem Vorderrhein entlang. Damit durchquert er wohl einen der spektakuläreren Abschnitte. Auf dem Rhein treiben ein paar Kanuten und ein paar Schlauchboote. Swiss Canyoning wird hier angepriesen. Vor vielen Jahrmillionen hat hier ein gewaltiger Abbruch des Sandgesteins das ganze Tal verstopft. Das Wasser bohrte sich anschliessend wieder einen Weg durch die enge Schlucht. Zurück blieben teils skurrile, zackige, ausgehöhlte und unterhöhlte Gebilde. Freistehende Säulen, ganze Wände von zackigem Fels.
Wir treffen in Chur ein, die Lok wird auf die andere Seite des Zuges gehängt. Wir fahren nun in umgekehrter Richtung wieder zurück, diesmal allerdings entlang dem Hinterrhein, durch das Domleschg nach Thusis. Es regnet.
Nach Thusis bis Tiefencastel wird es nochmals richtig eng. Nach einem kurzen Blick in die Schlucht der Via Mala, durchfahren wir die Schyn-Schlucht. Auf schmalem Trassee windet sich der Zug in die Höhe. Ein paar Mal können wir fast senkrecht in die Tiefe zur Albula (Fluss) hinunterschauen.
Etwas breiter dann die Passage von Tiefencastel nach BergĂĽn. Doch dann wird es nochmals spektakulär: durch teils enge Kehrtunnels, ĂĽber hohe Viadukte (Landwasserviadukt der wohl bekannteste) steigt der Zug mit bis zu 32 0/00 in die Höhe. Immer wieder sehen wir Geleise in der Tiefe und wissen schlussendlich doch nicht recht, wie wir jetzt genau diesen Höhenunterschied ĂĽberwunden haben. Wegen dieses Teils der Strecke wurde auch der Teil der “Rhätischen Bahn in der Landschaft Albula/Bernina” in die UNESCO-Welterbeliste aufgenommen. Wahrlich ein MeisterstĂĽck der Ingenieurskunst von dannzumal.
Bald verschwindet der Zug im Tunnel unter dem Albulapass und kommt erst im Engadin, kurz vor Samedan wieder ans Tageslicht. Die letzten paar Kilometer nach St. Moritz sind normale Zugfahrt, unspektakulär, normal.
Wer erwartet hat, im Glacier Express dauernd an Gletschern vorbeizufahren, wird enttäuscht sein. Nach der Ankunft in Visp, verschwinden auch die letzten Gletscher aus dem Blickfeld. Hingegen hat die Strecke viel anderes zu bieten.
Angefangen bei der Geographie: Das Rhonetal (Wallis) entleert sich in das Mittelmeer, das Urserental (Reuss) und der Rhein werden nach vielen Kilometern in die Nordsee gelangen und der Inn aus dem Engadin wird mal zusammen mit der Donau das Schwarze Meer erreichen. Jedes der drei Täler hat seine eigenen Baustile: die schwarzgebrannten Holzhäuser im Wallis werden im Urserental durch die eher südlandisch und steinernen empfundenen Baustile abgelöst, während im Engadin der typische Häuserstil mit den dicken Mauern und den zurückversetzten Fenstern mit den Verzierungen beobachtet werden kann. Selbst die Vegetation wechselt von Tal zu Tal. Im Wallis sieht man bis etwa nach Brig hinauf häufig noch Rebenstöcke. Trotz der Regengüsse der letzten Tage muss mancherorts zusätzlich bewässert werden. Urserental und die beiden Rheintäler haben dieses Problem nicht. Das tieferliegende Domleschg zählt zu den Vorratskammern des Kantons Graubünden und das Engadin profitiert ja vor allem im Winter und vom Tourismus.
Am besten gefallen hat mir auf jeden Fall die Strecke ab Ilanz durch die Rheinschlucht, sowie später die Fahrt durch das Domleschg hinauf und entlang der Albula und der Landwasser bis zum Tunneleingang unter dem Albulapass.
Fotos habe ich fast keine machen können, denn die wirklich spektakulären Ausblicke dauerten meist nur Sekunden. Zudem sind die Verspiegelungen durch das Fenster des Panoramawagens zu stark. Die Schönheit der Landschaft geht verloren. Da hilft nur noch: selber mitfahren, auch ohne die Gletscher, lohnt es sich auf jeden Fall.
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