Jahrhundertelang standen die Niederlenzer im Schatten derer, die Geschichte machten. Einzige urkundlich festgehaltene Zeugnisse ihres Daseins sind, dass sie tĂĽchtig Zinsen zahlten. Nutzniesser waren häufig wechselnde kirchliche und weltliche Herren. Erst in allerneuster Zeit begann das Dorf am Aabach bemerkenswerte Zeugen einer selbstbewussten Eigenständigkeit zu schaffen: Der Gemeindesaal im 1973 eingeweihten Oberstufenschulhaus verlieh dem kulturellen und gesellschaftlichen Leben des Dorfes entscheidende Impulse. Besonders stolz sind die Niederlenzer auf ihr 1978 entstandenes Dorfzentrum in der alten MĂĽhle. Ein Konsortium von vier Partnern – Gemeinde, Post, Verein fĂĽr Altersbetreuung Niederlenz und die Baumaterialienfirma Beton AG – schuf hier ein Musterbeispiel zur Erhaltung alter Bausubstanz in einem Dorfkern. Ebenfalls im Zeichen der Erhaltung steht das Niederlenzer “Jahrhundertwerk”, das im September 1989 mit einem Spatenstich in Angriff genommen wurde: Die Sanierung von Aabach und Hauptstrasse. Zwischen den Häusern im Aabachtal zwängen sich Strasse und Aabach auf engstem Raum durch. Das in den 30er Jahren angelegte Bett des Aabaches vermochte die Hochwasser nicht mehr zu schlucken. Schon gegen Ende der 50er Jahre wurde deshalb mit der Planung fĂĽr eine Sanierung begonnen. Im Laufe der folgenden Jahrzehnte lehnten die Niederlenzer beharrlich jedes Projekt ab, das eine gänzliche oder auch nur teilweise Ăśberdeckung des Baches vorsah. Das Ei des Kolumbus konnte Mitte der 80er Jahre dank neuer Bautechnologie gefunden werden. FĂĽr den Aabach wird im Pressvortrieb ein 2’762m langer Stollen von 2,75m Durchmesser entlang der 1984 stillgelegten Seetalbahn gebohrt. Dadurch kann der Aabach in der bisherigen Grösse weiterhin offen durch das Dorf rauschen.
Niederlenz ist keine gewachsene Dorfgemeinschaft. Mit Beginn der Industrialisierung im letzten Jahrhundert setzte ein stetiger Zustrom von Neuzuzügern ein. So hat sich die Einwohnerzahl seit 1850 von rund 780 auf heute über 4200 verfünffacht. Die Arbeitsplätze der Niederlenzer lagen und liegen jetzt noch zumeist in den umliegenden Zentren. Dies erschwert die Assimilation der Neuzuzüger. In den vergangenen Hochkonjunkturjahren kam hinzu, dass sich viele Ausländer niederliessen. Sie machen heute noch rund 24 % der Gesamtbevölkerung aus. Dem steht ein nur kleiner Harst von traditionsbewussten Ortsbürgern gegenüber.
Diese spezielle Situation von Niederlenz liegt sicherlich nicht nur in der Industrialisierung, sondern ebenso in der Geschichte begrĂĽndet, in der Niederlenz keine Rolle spielte. Als Siedlungsgebiet wurde das flache Plateau, das durch das Tal des Aabaches entzweigeschnitten ist schon frĂĽh entdeckt. Die frĂĽhesten Funde stammen aus der Mittleren Steinzeit, etwa um 6000 v. Chr. Später haben auch die Kelten, Römer und Alemannen “an der Lentia”, wie die Römer die weite Umgebung des späteren Lenzburg nannten, gehaust, ohne allerdings je zu einer dörflichen Gemeinschaft zu finden. Die Besiedlung bestand aus Einzelgehöften. Die erste schriftliche Erwähnung stammt aus dem sog. Kiburger Urbar von 1261/64 und erwähnt “Nider-Lenz”, wobei bereits 893 mit “Lencis” und 1234 mit “Lenz” eventuell unser Niederlenz gemeint ist. Sicher betrifft die Benennung 1291 das Dorf, denn als das Kloster Murbach im Elsass bzw. die daraus hervorgegangene Propstei Luzern von den Habsburgern gezwungen wurde, diverse GĂĽter abzutreten, finden sich im entsprechenden Rodel auch drei GĂĽter in “villa nidernlentz”. Im Laufe der folgenden Jahrzehnte wurde der 330 ha grosse Gemeindebann aus der alten Mark Lenzburg herausgelöst und erhielt dabei seine ungewöhnliche rohmbenartige Form, die wie ein KuchenstĂĽck aus dem Lenzburger Bann herausgeschnitten erscheint. Erster konkreter Hinweis fĂĽr das Bestehen einer dörflichen Gemeinschaft liefern die spärlichen Quellen aus dem Jahre 1480, als die “gemein pursami von Niderlentz” in einem Dorfbrief – dessen Original sich im Gemeindearchiv befindet – die Rechte und Pflichten, die vor allem Wald, Weide und Wasser betrafen, festlegten.
Dass Niederlenz im Laufe der Jahrhunderte zu einer bedeutenden Siedlung heranwuchs, ist das Verdienst des Aabaches, der Familie Kull und der ausgezeichneten Verkehrslage. Schon früh wurden die Wasserkräfte des Aabaches genutzt. Eine Mühle klapperte laut einer Urkunde bereits anno 1234. Zu Beginn des 19. Jahrhunderts lieferte der Bach Energie für den Betrieb einer Gipsmühle, zweier Schnupftabakstampfen und einer grossen Mühle. Die Lenzburger Kaufmannsfamilie Hünerwadel führte früh die Textilindustrie ein, aus der die einst berühmte SLI (Schweizerische Leinenindustrie) hervorging. Heute ist dieses Werk unter dem Namen Hetex Garn AG der grösste Niederlenzer Betrieb. Zweitwichtigster Zweig sind die metallverarbeitenden Betriebe. Aus einer alten Müllereimaschinenfabrik ist die K-Tron Soder AG hervorgegangen, die mit ihren Dosierwaagen eine Weltexklusivität produziert.
Trotz vielen Neuzuzügern und Pendlern entwickelte sich in Niederlenz ein Dorfgeist, der sich, wie erwähnt, darin äusserte, dass man den Aabach nicht dem Moloch Verkehr opfern wollte. Zweites Beispiel solchen Eigensinns ist das 1984 eingeweihte Kleinaltersheim mit 19 Betten. Das passte seinerzeit nicht in die kantonale Konzeption, weshalb der Kanton Subventionen verweigerte. Also beschlossen die Niederlenzer, das Heim aus eigener Kraft zu bauen. An die Kosten von 4,5 Millionen leisteten die dank der Kiesgrube im Lenzhard wohlhabenden Ortsbürger 60 %, die Einwohnergemeinde übernahm die restlichen 40 %. Das jüngste Beispiel von positivem Eigensinn ist die Gründung der reformierten Kirchgemeinde Niederlenz auf den 1. Januar 1990. Jahrhundertelang gehörte Niederlenz der Urpfarrei Staufberg an, die sich schon im Mittelalter aufzusplitten begann. Nur Staufen, Schafisheim und Niederlenz gehörten ihr schliesslich noch an.
Eines haben die Niederlenzer allen andern Aargauern voraus. Zum 175. Geburtstag des Kantons im Jahre 1978 haben HTL-Studenten und ein Computer errechnet, dass im Niederlenzer Gemeindebann der Schwerpunkt des Aargaus liegt. (Quelle: Auszug aus Geschichte)
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