Ich bin auch schon mit dem Rennrad vom Ofenpass ins Münstertal hinuntergefahren. Ich hatte schon einigen Respekt vor der Steigung, vor allem im obersten Teil. Ich war mir deshalb heute Morgen bei der Abfahrt in Müstair nicht so sicher, was ich mir mit dem Anhänger auf der Hinterradachse alles erlauben kann.
Ich ging den Aufstieg bewusst zurückhaltend an. Es war noch sehr kühl am frühen Morgen. Ich kam aber gut voran. Nach knapp zwei Stunden war ich bereits oben, durchgekurbelt. War alles nur halb so schlimm, wie ich mir das vorgestellt hatte. Ich hätte jetzt nach Zernez hinunter fahren können. Das wärs dann gewesen für heute.
NatĂĽrlich hatte ich im Vorfeld auch eine Alternativ-Route ĂĽber Livigno und das Engadin angeschaut. Aber drei Pässe, an einem Tag, mit dem Anhänger, schien mir anfänglich zu viel. Doch während der Abfahrt vom Ofenpass hinunter zur Abzweigung nach Livigno, merkte ich: “das ist heute mein Tag”. Der Shuttlebus fĂĽr die Radfahrer war schon bereit, aufgeladen war sehr rasch. Ein Gespräch mit dem Fahrer während der Fahrt durch den 3.5 KM langen Stollen und nur wenige Minuten später war ich bereits am Lago di Livigno. Die Fahrt konnte wieder auf dem Rennrad weitergehen.
Dem See entlang geht es fast ausschliesslich durch Gallerien. Der See lag heute fast spiegelglatt da, während sich am Himmel die Wolken langsam immer mehr verdüsterten. In Livigno fand ich zufällig einen Bikeladen mit Pressluftpumpe. Das Hinterrad hatte nach dem gestrigen Plattfuss zwar kein Problem, aber ein paar Bar würden sicherlich nichts schaden.
Die Auffahrt auf die Forcola di Livigno kam mir einfach vor. Schön regelmässig. Gegen den Schluss nimmt die Steigung sogar leicht ab. Die letzten paar Kilometer verlaufen wieder in Gallerien. Im Gegensatz zu anderen Gallerien an anderen Pässen sind diese sogar flacher als der Rest der Passstrasse. Ich kam oben gut und problemlos an.
Die steilere Seite der Forcola di Livigno ist sicher meine heutige Abfahrt an die Schweizer Grenze. Ab dann kommt für mich allerdings noch der Aufstieg auf die Bernina. Zwischen den Bergspitzen der nächsten Gipfelkette, sehe ich bereits, wie es dort regnet. Der graue Schleier kommt immer näher, geht dann aber das Puschlav hinunter, also von mir weg. Ich kämpfe mich, es wird nun doch noch zäh, die letzten paar Spitzkehren der Bernina in die Höhe und erreiche nach einer eingelegten Verschnaufpause, die Passhöhe doch noch vor den Regenschauern.
Ich verweile nicht lange auf der Passhöhe, fahre so schnell wie möglich hinunter, einzelne Regentropfen erwischen mich. Auf die obligate Foto zum Morteratschgletscher und Piz Palü verzichte ich heute. Der Gletscher sieht merkwürdig grau, mit rötlichen Flecken aus. Nichts Ansehliches.
Ich fahre zĂĽgig weiter hinunter, alles auf der Schnellstrasse. Pontresina, Samaden fliegen vorbei. Ich verzichte auf alle folgenden Dorfdurchfahrten, und somit auch auf das Geholper ĂĽber Kopfsteinpflaster, aber auch auf frisches Wasser aus den Dorfbrunnen. Ich bin auf der Flucht vor der grauen Wand, welche mir am Hinterrad zu kleben scheint.
Die letzte steile Abfahrt nach Zernez hinunter. Auch von der Ofenpassstrasse kommt ein grauer Schleier. Ich kurble noch etwas schneller, muss das Hotel in Zernez suchen, die Regentropfen fallen häufiger. Die letzten paar hundert Meter muss ich dem Regenschauer vom Ofenpass entgegenfahren. Aber es reicht, um mich noch trocken an die Rezeption des Hotels zu stellen.
Es war wirklich mein Tag. Die Höhenmeter waren relativ einfach zu erkurbeln und die Fahrt auf der Schnellstrasse hinunter ist ja auch immer wieder mal ein Leckerbissen, nicht nur für das Rennrad.