Der Morgen steht im Zeichen der Bernina. Es ist noch sehr kühl, als ich das Hotel kurz nach acht Uhr verlasse. Beinlinge und Armlinge habe ich vorerst mal eingepackt, denn nur wenige Meter vom Hotel entfernt beginnt bereits die Steigung. Und wie! Spätestens ab der Schweizer Grenze dürfte das dauernd 10 und mehr %-Steigung gewesen sein. Das Tal ist noch bis weit hinauf im Schatten. Oft weht ein kühler Wind, nicht weiter störend für mein Tempo, aber halt sehr kühl.
Nach etwa einer Stunde ist der schlimmste Teil überstanden. Ich bin in Miralago angekommen. Ein paar flache Kilometer an der Sonne, bis nach Poschiavo hinüber tun den Beinen und auch dem Kopf gut. Ich bin spätestens jetzt überzeugt, dass der Entscheid auf Aprica und Mortirolo zu verzichten, genau richtig waren. In der nachmittäglichen Hitze und mit schon einigen Höhenmetern in den Beinen, hätte ich da wahrscheinlich noch viel mehr gelitten.
Nach Poschiavo geht es dann mit der Steigung weiter. Meist etwas weniger als im ersten Teilstück von heute Morgen, mit kurzen, fast flachen Stücken dazwischen. Immer wieder die Möglichkeit da und dort eine Foto zu schiessen. Immer wieder waldige, schattenspendende Teilstrecken, entlang von noch kühlen Felswänden, hie und da eine Spitzkehre. Ab und zu einen freien Blick auf die umliegenden Berge. Welch imposantes Panorama. Ich nähere mich der Waldgrenze. Auf dem letzten flachen Stück, auf einer Alp, etwa 400 Meter unter der Passhöhe, schalte ich eine kleine Pause ein. Verpflegung, Wasser, Beine etwas ausschütteln.
Dann die letzten paar Kilometer und vor allem die letzten Höhenmeter. Das Panorma wird immer imposanter, die Abzweigung nach Livigno ist vorbei, gerne möchte ich nochmals eine Foto vom Berninamassiv schiessen. Doch die Beine haben einen so guten Rhythmus, dass ich dieses Vorhaben wenn immer möglich auf die Passhöhe verschiebe. Kurz nach 12:00 Uhr ist es geschafft. Die Passtafel steht da, darum herum viele Motorradfahrer, und ein paar andere Velofahrer die sich da gegenseitig fotographieren.
Wie schon auf der ganze Strecke heute morgen: schönstes Wetter, die Temperatur steigt trotz des Höhengewinnes leicht an, geblieben ist der vorerst noch kalte Wind. Ziehe deshalb schon nach kurzer Zeit meinen Regenschutz über und verlasse die Passhöhe in Richtung Pontresina und Samedan. Unterwegs dann doch noch schnell eine Foto hinüber zum Morteratschgletscher.
In Samedan schlägt die Kirchenuhr gerade ein Uhr, als ich meinen Renner an die Wand des Hotels Terminus stelle. Mittagszeit, Verpflegung, Kraft für nächste Höhenmeter.
Für die Fahrt über St. Moritz nach Silvaplana benütze ich die alte Verbindungsstrasse über Celerina und St. Moritz Dorf. In Silvaplana geht es durch das schmale Dorf und dann steht die Rampe von Passstrasse vor mir. Schier endlos lang und fast senkrecht kommt sie mir vor, wenigstens bis zur zweiten Spitzkehre, dann wird es endlich etwas flacher. Nochmals ein paar Spitzkehren, die Aussicht auf das Oberengadin wird immer besser. Auf dem See bei Silvaplana herrscht heute buntes Treiben. Motorboote ziehen farbige Fallschirme hinter sich her, denn im Tal unten windet es ziemlich kräftig. Hier oben aber wird es zunehmend windstiller und damit auch immer wärmer.
Die paar wenigen Kilometer bis zur Passhöhe kommen mir plötzlich unendlich lange vor, doch nach drei Uhr ist auch das geschafft. Es bleibt nicht mehr viel Zeit für eine Passfoto und schon bald muss ich diesen Pass wieder verlassen, hinunter, mindestens nach Tiefencastel, besser wäre natürlich Thusis, damit meine Rundfahrt eben einen sauberen Abschluss erhält.
Aus früheren Fahrten mit dem Auto über den Julier, kenne ich die Strasse einigermassen. Über weite Strecken wurde die Strasse saniert und lässt selbst mit dem Renner hohe Tempi zu. Zwischendurch allerdings rattert und holpert es noch gewaltig. Da ich einigermassen pressieren muss, die letzten etwa 40 Kilometer bis nach Thusis hinter mich zu bringen, gibt es von diesem Streckenabschnitt auch keine Fotos mehr. Zu allem Übel muss ich auf den beiden längeren Geraden vor Rona und nach Savognin auch noch gegen einen kräftigen Gegenwind ankämpfen.
Meinen Renner stelle ich aber doch um 17:15 in Thusis an die Wand des Bahnhofes. Der Zug fährt um 17:33 so bleibt noch genügend Zeit für einen Besuch im Kiosk und das Lösen der Tageskarte für den Renner.